• Sonntags in der kleinen Stadt

    Seit Franz Josef Degenhardts Sonntagstrauma hat sich doch vieles geändert, welcher Mann zieht heute noch den Hut, welche Frau trägt Hütchen, Schühchen, Täschchen passend, wer geht am Sonntag Morgen überhaupt noch in die Kirche und nach einem Mittagessen mit dicker Bratensoße und gekochtem Pudding zum Sonntagsspaziergang? Dass der Kaplan gar nichts von den koketten Jungfrauen wollte, sondern schon eher von den Messdienern, das kann inzwischen nicht einmal die Kirche verheimlichen. Auch der Besuch der Schlachtfeldstätten ist aus der Mode gekommen, nicht aber die Schießerei.

    Und so hatte ich in den letzten Tagen das Vergnügen, mich an der Erzählungen meiner eingeborenen Kolleginnen und Kollegen über den Dorf- und Kleinstadtmief in Bocholt und Umgebung zu ergötzen. Es ist Schützenfest-Zeit, und natürlich nicht nur hier. Gibt es überhaupt eine Ecke in Deutschland, wo es kein Schützenfest gibt?

    Ich war noch nie bei einem Königsschießen, meine Kopfbilder sind da offensichtlich auch weitaus prächtiger als der echte Vogel, der abgeschossen wird, aber ich habe schon so einige Schützen-Paraden gesehen. Für mich gehören Schützenfest und Kirmes zusammen, das ist aber wohl in Bocholt nicht so. Warum nur zu einer Gelegenheit trinken, wenn man auch zwei haben kann?

    Als Kind mochte ich den letzten Tag der Nütterdener Kirmes, weil dann der Schützenkönig mit seinem Anhang zum Festzelt anrollte, und zwar in einer Pferdekutsche. Nur war mir der König herzlich egal, ich wollte die Königin und ihre Damen sehen. Auf dem Dorf gab es nicht viele Gelegenheiten, Abendkleider zu bestaunen. Heute schießen ja auch Frauen, was ziehen die denn an, wenn sie Schützenkönigin werden? Federhut und Uniform oder doch Glitzerkleid?

    Danach habe ich diese Tradition viele Jahre lang gemieden, bis ich dann wiederholt die große Schützenparade in Düsseldorf gesehen habe, natürlich mit anschließendem Kirmesbesuch. Man muss halt nur Düsseldorfer Eingeborene kennen, dann darf man auch ins Zelt und Altbier trinken.

    Am Sonntag nun hörte ich laute Marschiergeräusche und Trommeln dazu, man denkt ja sofort, die Russen kämen, aber es waren dann doch die Schützen. Gibt es einen Stenerner Schützenverein? Bestimmt. Als dann auch noch Musik einsetzte, hörte es sich an, als käme die Prozession direkt in meine kleine Straße, also ging ich auf die Terrasse, um mir das Schauspiel anzusehen. Im Nachbargarten stand auf einem Stuhl der ukrainische Junge, der dort seit einiger Zeit mit seiner Mutter und Schwester wohnt, während mein Nachbar, ihr Cousin, zu seiner Freundin gezogen ist. Bestimmt dachte der Junge auch, die Russen kämen, aber die Federhüte und kleinen Mädchen in lustigen Kleidern werden ihn beruhigt haben. Und in seinem Alter hätte ich genau das gemacht, was er dann tat. Er trieb seine Schwester zur Eile an und sie fuhren mit den Rädern hinterher, um sich das eigenartige Schauspiel aus der Nähe anzusehen. Ich dagegen habe keine Ahnung, wo sich die Festivitäten abspielten, vielleicht in der Schrebergartensiedlung im Stadtwald?


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